Erich Böhme

„Ei, des iss ein bisschen lieblos geschriwwe“, lautet ein beliebter, im breiten hessischen Dialekt nebenbei gesagter Kommentar des langjährigen SPIEGEL-Chefredakteurs Erich Böhme, wenn ihm ein Text nicht gefiel. Der Redakteur musste überarbeiten. Es war die besondere Art des Journalisten Böhme, seine Leute zu Höchstleistungen zu motivieren, ohne lautstark zu poltern. Böhmes besondere Autorität wirkte auch gegenüber dem SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein, wenn dieser mit einem nicht ganz geglückten Kommentar ins Blatt wollte. „Ei Rudolf, des Thema ist ja gut, aber des Stück ist net pulitzerpreisverdäschdisch.“

Erich Böhme wurde 1930 in Frankfurt am Main geboren, studierte Nationalökonomie und begann im Alter von 23 Jahren bei den Vereinigten Wirtschaftsdiensten als Agenturjournalist. Nach einer Station bei der Deutschen Zeitung aus Stuttgart wechselte er 1958 in das Hauptstadtbüro des Hamburger Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL nach Bonn, dessen Leitung er 1969 übernahm. Mit dem Wechsel des damaligen SPIEGEL-Chefredakteurs Günter Gaus in die Politik wurde Böhme 1973 in die Chefredaktion des Nachrichtenmagazins berufen. Es waren die Jahre großer investigativer Enthüllungen, die dem SPIEGEL weiter Ansehen und damit auch Auflage brachten und die Stellung als wichtigstes deutsches Politik-Magazin festigten.

 

article picture

Böhme, der schon als junger Redakteur die skandalträchtigen Begleitumstände beim Bau des Heerespanzer HS 30 in der Zeit von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) recherchierte, vermochte es als Team-Arbeiter, seine Redaktion immer wieder anzutreiben „zu bohren und zu suchen“, wie sein journalistischer Weggefährte Hartmut Palmer es formulierte. „Er hatte die Gabe, Menschen aufzuschließen, ihr Vertrauen zu gewinnen, sie zum Reden über sich zu bringen und ihnen dabei Geheimnisse zu entlocken, die sie anderen nicht anvertraut hätten.“ So in der sogenannten Flick-Affäre (1983), in der zur „politischen Landschaftspflege“ Gelder der Industrie in die Parteikassen flossen; dem Skandal um das gewerkschaftseigene  Wohnungsbau-Unternehmen „Neue Heimat“ (1986), bei dem sich die Chefs zu Lasten der Mieter die Taschen füllten.

In der Affäre um die Machenschaften aus der Kieler Staatskanzlei, in der Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) unter anderem den SPD-Kandidaten Björn Engholm (SPD) bespitzeln ließ und die SPD verschwieg, von allem gewusst und den Kronzeugen Reiner Pfeiffer finanziell abgefedert zu haben, traf SPIEGEL-Chefredakteur Böhme heikle Entscheidungen. Auf der Grundlage der Aussagen des Medienreferenten Pfeiffer aus der Staatskanzlei sowie den eigenen Recherchen seiner Redakteure unter höchstem Zeitdruck entschied sich Böhme - nicht unumstritten, selbst bei Herausgeber Augstein - zum Druck des SPIEGEL-Titel „Watergate in Kiel - Barsches schmutzige Tricks“ (Nr.38 / 1987).

1989 sollte seine Karriere mit einem schnell dahin geschriebenen Satz in einem Kommentar zur deutschen Wiedervereinigung (Böhme später: „Welcher Teufel mag mich geritten haben?“) eine abrupte Wendung nehmen: „Ich möchte nicht wiedervereinigt werden.“ Es kam zum Bruch mit seinem langjährigen Freund und Herausgeber Rudolf Augstein. Im Alter von 59 Jahren, nach 17 Jahren im Amt des Chefredakteurs und 31 Redakteursjahren verließ Böhme den SPIEGEL.

Nach Stationen als Herausgeber bei der Berliner Zeitung, der damals von Gruner + Jahr verlegten Hauptstadtzeitung, die Böhme zu einer „Washington Post“ für Deutschland machen wollte (was misslang), moderierte er eine erfolgreiche Polit-Show „Talk im Turm“ sowie weitere TV-Formate. Hier konnte ein breites Publikum eine Eigenschaft Böhmes, die vielleicht zu seinem Erfolg als Ausnahmejournalist beitrug, selbst erleben. Denn das „hessische Schlappmaul“ (Böhme über Böhme) konnte kumpelhaft und vertrauenserweckend seinen Gesprächspartner, Brille schwenkend und im Sessel tief eingesunken, nett einwickeln und dann bei den kleinsten Widersprüchen und Ungereimtheiten sofort hellwach nachzuhaken. „Das Krokodil“ nannten ihn denn auch einige seiner Kollegen - harmlos in der Sonne liegen und plötzlich zuschnappen. Seine unermüdliche Tätigkeit als Kolumnist für verschiedene Blätter wie der Münchner Abendzeitung und der Sächsischen Zeitung kommentierte er in der ihm eigenen Ironie: „Am liebsten wäre ich Bahnwärter an einer stillgelegten Strecke in Frankreich.“

Erich Böhme starb an einer Krebserkrankung am 27. November 2009 im brandenburgischen Bad Saarow. Bei der Trauerfeier im Berliner Dom würdigte der ehemalige Außenminister Joschka Fischer ihn als „lebendiges Geschichtsbuch der alten Bundesrepublik“. Journalismus sei für Böhme die Verteidigung der Demokratie gewesen. (sk)

Nachruf auf Erich Böhme in Der Spiegel vom 7. Dezember 2009