Dieter Hildebrandt

Dieter Hildebrandt gehörte zu den einflussreichsten Kabarettisten der Nachkriegszeit. Er war Mitbegründer der berühmten „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ und schuf Satiresendungen wie „Notizen aus der Provinz“ für das ZDF oder zusammen mit Sammy Drechsel den „Scheibenwischer“ für den SFB Sender Freies Berlin.

Dieter Hildebrandt wurde am 23. Mai 1927 in Bunzlau/Niederschlesien als Sohn eines Beamten geboren. Schon in der Schulzeit fühlte er sich zum Theater hingezogen und beteiligte sich an einer Schauspielschar der Hitlerjugend. Ab 1943 wurde er Luftwaffenhelfer und nach kurzem Arbeitsdienst unmittelbar vor Kriegsende sogar noch von der Wehrmacht eingezogen. Seinen Rückzug hat er 2005 in der Süddeutschen Zeitung so beschrieben: „Ich bin um mein Leben geschwommen“.

Nach Kriegsende geriet er im Mai 1945 in Gardelegen/Sachsen-Anhalt in Gefangenschaft. Seine aus Schlesien vertriebene Familie traf er dann 1945 in der Oberpfalz wieder. Ob er zuvor 1944, im Alter von 17 Jahren, einen NSDAP-Aufnahmeantrag gestellt hatte – was das Magazin Focus im Jahr 2010 herausgefunden haben wollte - blieb ungeklärt, wurde von ihm aber bestritten. 1947 holte er sein Abitur in Weiden/Oberpfalz nach und begann anschließend, in München Literatur- und Theaterwissenschaft sowie Kunstgeschichte zu studieren.

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Kontakt mit dem Kabarett bekam er bereits in dieser Studentenzeit, als er sich in der 1951 gegründeten Münchner "Kleinen Freiheit" als Platzanweiser Geld hinzuverdiente. Dort war er von den Auftritten ► Werner Fincks oder Oliver Hassencamps sehr beeindruckt, genau wie von den Programmtexten ► Erich Kästners. Hildebrandt begann daraufhin selber beim Studentenkabarett "Die Seminarren" mitzuwirken. Und gründete 1955 mit Kommilitonen das Schwabinger Kabarett "Die Namenlosen", das es 1956 sogar ins Fernsehen schaffte.

Zusammen mit Sammy Drechsel gründete er die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" und entwickelte sie in den Folgejahren mit bissigem Humor und zielgenauen Pointen zum wohl am meisten beachteten politischen Satire-Programm in der Bundesrepublik – weil es von Beginn an sowohl im Hörfunk wie auch vom Fernsehen übertragen wurden. Auch ihr Silvesterprogramm "Schimpf vor Zwölf" wurde bis 1971 von der ARD zur Hauptsendezeit übertragen. Ende 1972 löste sich die Lach- und Schießgesellschaft nach 16 Jahren auf, als nach dem Antritt der sozialliberalen Koalition Brandt/Scheel das politische Kabarett warum auch immer plötzlich für tot erklärt wurde.

Aber Hildebrandt setzte seine politischen Satiren fort: 1973 mit der Kabarettsendung "Notizen aus der Provinz", von denen das ZDF insgesamt 66 Folgen ausstrahlte. Und live ab 1974 zusammen mit Werner Schneyder, mit dem er bis 1982 fünf Programme auf verschiedene Bühnen brachte und damit sogar von der "Leipziger Pfeffermühle" zu einem Gastspiel in die DDR eingeladen wurde.

Wahrscheinlich waren es die zunehmenden Proteste konservativer Politiker gegen seine "Notizen" im ZDF, die mehrmals zur Absetzung dieser Sendung führten und zu Hildebrandts Wechsel zur ARD. Im SFB Sender Freies Berlin startete er ab Juni 1980 den "Scheibenwischer", mit ihm als Conférencier und einer Art Anchorman. Aber auch beim Scheibenwischer kam es immer wieder zu politischen Kontroversen, etwa als sich das Bayrische Fernsehen im Mai 1986 aus dieser ► Sendung über die Atomkatastrophe in Tschernobyl aus dem ARD-Programm einfach ausblendete.

Hildebrandt machte dennoch als Hauptakteur der 145 "Scheibenwischer"-Sendungen bis zum Jahr 2003 weiter und absolvierte danach noch mehrere Gastauftritte. Vorher hatte er sich entschieden dagegen gewandt, auch Comedians in das von ihm kreierte Format einzuladen - damit wollte er verhindern, dass sein bisher politik-kritisches Programm mehr und mehr zu reiner Unterhaltung denaturieren könnte.

Von da an war Hildebrandt wieder des Öfteren als bissiger Kabarettist live zu erleben. Er spielte auch in mehreren Filmen und Fernsehserien mit, wie in Helmut Dietls "Kir Royal". Sogar im Theater war er zu erleben, etwa in "Sonny Boys" zusammen mit Werner Schneyder. Außerdem schrieb er Bücher und stellte sie auf Lesereisen vor. Und auch in der kabarettistischen Sendereihe "Neues aus der Anstalt" war er gelegentlich zu Gast.

Hildebrandt war so beliebt, weil er sein Publikum zum Lachen aber auch zum Nachdenken brachte. Er war schlagfertig, scharfzüngig und in fast jeder Situation zu einer treffenden Pointe fähig. Man warf ihm manchmal vor, zu linkslastig zu sein, vielleicht weil er die SPD verschiedentlich bei Wahlen unterstützte. Nach seinem Abschied vom Fernsehen erhielt er 2004 den Adolf-Grimme-Preis für sein Lebenswerk, weil mit seinem Abschied aus dem "Scheibenwischer" eine Ära des politischen TV-Kabaretts zu Ende gegangen sei. Und 2008 dann auch den Kleinkunstpreis für sein Lebenswerk.

Und anlässlich seines 80zigsten Geburtstags im Jahr 2007 lobte ihn Bernd Neumann, der CDU-Kulturstaatsminister im Kanzleramt: „Hildebrandt sei als der dienstälteste Kabarettist unseres Landes über all die Jahrzehnte zugleich einer der prägendsten und originellsten geblieben. Hinter dem Humor und der Freude am kabarettistischen Spiel sei stets ein aufgeklärter Humanismus und ein großes Interesse am Menschen spürbar“ gewesen. Und: „Sie provozieren, amüsieren und zuweilen verärgern Sie auch, wie es sich für einen politischen Kabarettisten von Rang gehört.“

Noch im Frühjahr 2013 hatte er mit Georg Schramm, Konstantin Wecker und Stefan Hanitzsch die experimentelle Internetplattform stoersender.tv gegründet, für politische Satire und bürgerschaftliches Engagement via YouTube, vor allem für jüngere Zielgruppen.

Dieter Hildebrand starb dann aber am 20. November 2013 im Alter von 86 Jahren an Krebs in einem Münchner Krankenhaus.

(hhb)

 

Quellen:

Katinka Strassberger: Hildebrandt, Dieter / Deutsche Biographie

Dieter Hildebrandt / Filmportal.de

Maulkorb für Hildebrandt

Oliver Das Gupta: Ich bin um mein Leben geschwommen / Süddeutsche Zeitung am 20.4.2005

Dieter Hildebrandt – Pimpf ja, aber kein Nazi / STERN am 3.7.2007

Katja Iken: Komik entsteht als Miteinander von Kopf und Bauch / SPIEGEL am 23.1.2008

Martin Zips: Betrügerische journalistische Arbeit / Süddeutsche Zeitung am 11.5.2010

Dieter Hildebrandt ist tot / Süddeutsche Zeitung vom 20.11.2013