Interview mit Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands (DPhV)

Schülerinnen und Schüler brauchen mehr Medienwissen und Sprachbildung zum Erkennen von digitaler Desinformation

Die DPhV-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing hat im Interview mit dem „Haus der Pressefreiheit“ zum Internationalen Tag der Pressefreiheit klare Empfehlungen für die schulische Bildung und Ausbildung von Lehrkräften ausgesprochen. Sie erklärt, wie Jugendliche Fake News besser erkennen könnten, Lehrkräfte auf die Demokratie-Vermittlung vorbereitet werden und was die klassischen Medien gegen den Vertrauensverlust machen sollten. Der Deutsche Philologenverband ist die Dachorganisation der Philologenverbände der Bundesländer. Die über 90.000 Mitglieder sind Lehrkräfte an Gymnasien, Sekundarschulen und anderen Bildungseinrichtungen, die zum Abitur führen, sowie Lehrbeauftragte an den Hochschulen, vornehmlich in der Lehrerbildung.

 

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende Deutscher Philologenverband DPhV

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Copyright: Deutscher Philologenverband DPhV

Haus der Pressefreiheit: Die Macht der Social-Media-Kanäle mit ihrer digitalen Desinformation und Beeinflussung hat in allen Bevölkerungsschichten und insbesondere bei den Jüngeren den gesellschaftlichen Wert der freien, unabhängigen Presse für die Demokratie und die Zukunft unserer Gesellschaft in den Hintergrund gedrängt. Was wären gerade unter dem Bildungsaspekt die geeigneten Mittel, um der jungen Generation der Schülerinnen und Schüler und Jugendlichen die Bedeutung der Medien wieder stärker zu vermitteln?

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing: Ich weiß nicht, ob wir es uns nicht zu einfach machten, wenn wir nur Social Media die Schuld an einer gewissen Demokratiemüdigkeit in die Schuhe schieben. Desinformations-Kampagnen hat es schon vor Social Media gegeben, und schlussendlich müssen demokratische Institutionen durch ihr Handeln und ihre Ergebnisse überzeugen – nicht nur durch Kommunikation. Grundsätzlich sollten wir bei Jugendlichen die Sinne für das schärfen, was auch für gute Journalistinnen und Journalisten wichtig ist: Was ist die Nachrichtenquelle? Wie glaubwürdig ist diese grundsätzlich? Kann ich sie nachverfolgen? Wem nützt eine Nachricht? Wer verdient damit Geld? Welche politischen Interessen stehen eventuell dahinter? Um mediale Informationen richtig einordnen zu können, brauchen Jugendliche einfach mehr Wissen – und nicht weniger. Und natürlich kann und sollte diese Wissensvermittlung auch mit Social Media stattfinden. Wir können ja nicht am realen Medienkonsum vorbei vermitteln.

 

Haus der Pressefreiheit: Ist der gesellschaftliche Wert der Medien für die Demokratie und Freiheit der Meinungsäußerung Ihrer Ansicht nach in den Lehrplänen der Länder und in den verschiedenen Schulformen ausreichend verankert?

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing: Medienbildung ist in verschiedenen Formen in allen Bundesländern in den Lehrplänen verankert. Das heißt: Texte verstehen, Texte formulieren für E-Mails, SMS, Blog - Einträge, Referate halten, Umgang mit Smartphone, Computer, Tablet, TV, Radio…  Wichtig sind Fachkenntnisse, damit die Jugendlichen Informationen und Meldungen, die sie erhalten, auch bewerten können beziehungsweise sich bewusst sind, was sie selbst „aussenden“. Sprachbildung spielt dabei eine wichtige Rolle.

Dazu gehört aber auch die immer neue Thematisierung des Wertes Demokratie. Gegenwärtig läuft eine Initiative, das Thema Demokratiebildung als Querschnittsthema in den Lehrplänen zu verankern. Zusätzlich leisten die besonders themenaffinen Fächer wie Geschichte, Politik, Deutsch etc. große Anstrengungen in diesem Bereich.

Zusätzlich sollte die Beschäftigung mit dem Grundgesetz seinen festen Platz schon an der Universität und damit in den „Lehrplänen“ für die angehenden Lehrerinnen und Lehrer haben. Und selbstverständlich müssen die Themen Medienbildung und Demokratieerziehung viel stärkeren Einzug in die Fortbildungsangebote für unsere Lehrkräfte halten. Dass hier eine große Lernbereitschaft vorhanden ist, sehen wir selbst gerade wieder an der großen Nachfrage nach unseren eigenen Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte, beispielsweise zu ChatGPT.

 

Haus der Pressefreiheit:: Was würden Sie sich bei dieser für alle Bürger gesellschaftlich wichtigen Aufgabe von den Medienschaffenden und deren Verlagen wünschen, damit eine unabhängige, seriöse Information gewährleistet bleibt und auch wahrgenommen wird?

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing: Die journalistische Unabhängigkeit der Redaktionen ist absolut unerlässlich, wenn die Medien ihren Beitrag in der Demokratie leisten sollen. Dazu gehört die gründliche Recherche und eigentlich auch der Verzicht auf reißerische Storys bzw. Clickbaiting. Aber wir müssen auch die Realität sehen: die großen internationalen Netzwerke haben gerade den Verlagen viel vom Umsatz genommen. Die Geschäftsmodelle sind unter Druck, viele Redaktionen müssen sparen – oft zu Lasten von Recherche und Sorgfältigkeit. Und hier gilt es aus meiner Sicht nun, dass die Medienschaffenden und die Verlage ein Stück weit auch um Vertrauen werben und Vertrauen zurückgewinnen müssen. Wie wird in den Redaktionen die Unabhängigkeit sichergestellt, welche Schwierigkeiten und Konflikte tauchen da auf, welche Story wird vielleicht auch einmal nicht gebracht? Das sind sicher Informationen, die die jungen Menschen, die unsere Schülerinnen und Schüler interessieren würden. Unterricht, der auch auf einen solchen ehrlichen Blick hinter die Kulissen zurückgreifen könnte, wäre Medienbildung, Demokratieerziehung, Berufsorientierung, Beitrag zu neuem, stärkerem Vertrauen in die unabhängigen Medien – und dazu sicher außerordentlich spannend und lehrreich.

 

 Pressemeldung zum Interview