Preußens Zukunft

Theodor Fontane in Berliner Zeitungs-Halle Nr. 200 vom 31. August 1948

Deutschland hat seinen constitutionellen Kaiser: Erzherzog Johann ist Reichsverweser. Es hieße Geist und Streben unserer Zeit verkennen, wenn wir den Entwickelungsgang unseres Vaterlandes damit beendet glaubten. Dieser Reichsverweser ist ein bloßer Durchgangspunkt, eine Brücke zwischen alter und neuer Zeit, wie unsere Constitutionen überhaupt. Was kommen muß, wird kommen. Die deutschen Stämme werden mehr und mehr erkennen, daß ihre Interessen dieselben sind, die Scheidewände werden fallen mit den Dynastien, und Deutschland wird groß, frei und einig sein.

Diese Auferstehung Deutschlands wird schwere Opfer kosten. Das schwerste unter allen bringt Preußen. Es stirbt. Jeder andere Staat kann und mag in Deutschland aufgehen; gerade Preußen muß darin untergehen. Was unsere Zeit so schön charakterisirt, ist Gerechtigkeit gegen jede Nationalität. Die eigene schützen, die fremde achten, das ist Losung und Feldgeschrei. Innerhalb der Nationalitäten aber werden die Stammverschiedenheiten wieder in ihr Recht treten, und diese Rückkehr zum Natürlichen bringt Preußen um seine Existenz. Baiern, Sachsen, Schwaben, sie werden in Deutschland aufgehen, der großen deutschen Republik werden diese Namen nicht fehlen. Aber eine preußische Republik ist eine Unmöglichkeit; Preußen muß zerfallen. Seine Provinzen glichen ebenso vielen Eisenstäben, die ohne Anziehungskraft unter einander nur durch das Tau eines absoluten Willens zusammengehalten wurden. Das Tau ist mürbe geworden, es wird zerrißen, und die Eisenstäbe werden folgen, wohin der Magnet der Stammesgleichheit sie zieht. Preußen war eine Lüge, das Licht der Wahrheit bricht an und giebt der Lüge den Tod. Mögen Tausende sich erheben und Preußen eine Wahrheit, mich aber einen Lügner nennen, mögen sie in Ermangelung eines anderen Beweises das Paradepferd unserer glorreichen Geschichte reiten – ich antworte ihnen: das jetzige Preußen hat keine Geschichte. – Was gilt dem Schlesier die Schlacht bei Fehrbellin, was gilt ihm selbst der Siebenjährige Krieg mit seinem zweifelhaften Recht? Was gelten dem Sachsen, dem Rheinländer unsere Siege bei Dennewitz und Großbeeren? Sie fochten auf feindlicher Seite, als wir den Tempel unseres Ruhms mit Trophäen schmückten. – Vergebens suchen unsere Staatsmänner einen Ausweg, Österreich und Preußen unterliegen der Nemesis der Geschichte; welche Politik wir auch verfolgen mögen, ob eine hochherzig deutsche oder eine königlich preußische, der Ausgang bleibt derselbe: das jetzige Preußen hört auf zu sein. Preußen hat nur die Wahl zwischen einem Untergehen in Deutschland oder einem Zusammenschrumpfen auf das Ländergebiet von 1740. Es kann nicht zweifelhaft sein, was schöner wäre: ein solcher Tod oder ein solches Leben. Preußen spricht so gern von seinen Opfern, die es der deutschen Sache gebracht habe; nun denn, so steh' es nicht an, auch das letzte, größte zu bringen. Betrachte es sich als ein Mann, und drücke es sich todesmuthig die Speere ins Herz um der Größe des Vaterlandes willen. Ein Tod kann unsterblicher sein, als ein ganzes Leben.