Angriff auf den Stern

Wer schützt uns vorm Verfassungsschutz?

Eine frühe Affäre im Kampf um die Pressefreiheit

Drei Jahre vor der Aufsehen erregenden „Spiegel-Affäre“ vom Oktober 1962, als die Redaktion des Magazins von  Polizei und Staatsanwaltschaft besetzt und „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein verhaftet wurde, erlebte die junge Bundesrepublik eine Ouvertüre, einen massiven staatlichen Angriff auf die Pressefreiheit, verwickelt waren darin der Chef einer Bundesbehörde, zwei Bundesminister und das Hamburger Landgericht. Betroffen von dem Willkürakt war die Illustrierte „STERN“.

Im STERN Nr. 8/1959 erschien ein Bericht mit dem Titel „Wer schützt uns vorm Verfassungsschutz“. Autor Mainhardt Graf Nayhauß schilderte darin, wie Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln eine Sekretärin des Bonner Wirtschaftsministeriums als Lockvogel für einen angeblichen Schweden, der in Wahrheit ein sowjetischer Spion war, eingesetzt hatten. Man hoffte, mit Hilfe der Sekretärin einen ganzen Spionagering ausheben zu können. Als dies binnen drei Jahren nicht gelang und der Agent - Behördenname „die Brillenschlange“ - mit unbekannten Ziel verschwand, wurde die Sekretärin an ihrem Arbeitsplatz verhaftet, vor Gericht gestellt und wegen „landesverräterischer Beziehungen“ zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.

Darüber beschrieb Nayhauß, dass wichtige Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz während der NS-Zeit hohe SS-Offiziere gewesen waren. Außerdem enthüllte er, wie der Dienst Heimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zu Agenten umschulte. Die Männer hatten sich vor ihrer Freilassung in der Sowjetunion zu Spitzeldiensten verpflichten müssen und sich nach ihrer Ankunft dann den bundesdeutschen Behörden offenbart. Die brachten die Heimkehrer dazu, als Doppelagenten zu arbeiten und den Sowjets nur Spielmaterial vom Verfassungsschutz zu liefern. Besonders pikant war in dem Bericht die Information, dass der damalige Innenminister Gerhard Schröder (CDU) den Etat des Verfassungsschutzes anzapfte, um Haushaltslöcher in seinem Ministerium zu stopfen.

STERN-Verleger Gerd Bucerius wollte sich bei Generalbundesanwalt Max Güde versichern, dass man sich mit dieser Veröffentlichung nicht strafbar mache. Der mochte sich dazu nicht äußern, informierte aber umgehend Minister Schröder. Der Verfassungsschutz verschaffte sich auf ungeklärtem Weg einen Vorabdruck des Artikels. Präsident Hubert Schrübbers fuhr damit von Köln nach Hamburg und erwirkte am Wochenende bei einer Eil-Kammer des Landgerichts eine einstweilige Verfügung gegen den STERN.

Artikel aus dem Stern Ausgabe 8/1959

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Als Beleidigung wurde eingestuft und verboten wurden unter anderen folgende Passagen: „Aber plötzlich gerieten Erika Marx und Manfred Karger in den Strudel der Spionage, nicht aus eigenem Zutun, sondern weil ein paar Leute im Verfassungsschutz sie rücksichtslos für ihre Zwecke einspannten“ – „Trübes Spiel mit Heimkehrern“ – „Für dieses gefährliche Doppelspiel wurden die Heimkehrer dann auch noch in einem einwöchigen Blitzkurs des Verfassungsschutzamtes besonders geschult.“ Als „üble Nachrede“ – strafbar nach § 186 StGB – wurde der Satz eingestuft und verboten: „Unter Missachtung des Gesetzes haben die Verfassungsschützer in Köln den ihnen vom Parlament gesteckten Rahmen gesprengt.“

Der STERN wurde zudem dazu verurteilt, seine Vertriebsstellen anzuweisen, die Verbreitung der Ausgabe mit den beanstandeten Passagen zu verhindern. Da das Heft aber inzwischen ausgedruckt und an die Grossisten ausgeliefert war und der STERN keine eigenen Vertriebsstellen hatte, ging die Aktion ins Leere. Nur in wenigen hundert Exemplaren, die sich noch in der Druckerei und im Verlag befanden, wurden die verbotenen Sätze geschwärzt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, Innenminister Schröder und auch sein Kollege, Bundeswirtschaftsminister Ludwig Ehrhardt, stellten Strafantrag gegen Autor Nayhauß und die verantwortlichen Redakteure des STERN.

„Spiegel“-Chefredakteur Rudolf Augstein kommentierte die staatlichen Attacken in einem „Lieber Spiegel-Leser“ so: „... Aber die Beschlagnahme der Nummer 8 des ‚Stern’ mit dem Verfassungsschutz-Artikel ist mir in die Glieder gefahren. Das verbohrte Streben der Bundesregierung, die Freiheit der Kritik zum Schweigen zu bringen, ist wohl noch nie so eklatant in Erscheinung getreten. Zum ersten Mal in zwölf Jahren, und nicht in eigener Sache, geben wir Alarm: ‚Rettet die Freiheit!’ ... Jeder muß das Recht haben, eine Einstweilige Verfügung durchzusetzen. Die strafrechtliche Beschlagnahme dagegen ... ist das Schlimmste, was gegenüber der Presse seit Kriegsende exerziert worden ist.“ Die Beschlagnahme sei „das Teilstück eines Schlieffenschen Umfassungsangriffs gegen die Pressefreiheit“.

Kommentar von Rudolf Augstein