Der Fall „Cicero“

Im April 2005 erschien im Magazin „Cicero“ ein Artikel über den jordanischen Terroristen und El-Kaida-Anführer Abu Musab al-Zarqawi, Titel „Der gefährlichste Mann der Welt“. Autor war der freie Journalist Bruno Schirra. In seinem Text zitierte er Passagen aus einem 125 Seiten starken Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) vom 6. September 2004. Das mit 392 Fußnoten versehene Dokument war als „Verschlusssache“ eingestuft. Das ist die niedrigste Geheimhaltungsstufe des Amtes.

 

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Fünf Monate später, am 31. August, leitete die Staatsanwaltschaft Potsdam ein Ermittlungsverfahren gegen Schirra und den „Cicero“-Chefredakteur Wolfgang Weimer wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen (§353b und §27) ein. Das Amtsgericht Potsdam ordnete am selben Tag die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Autors und der „Cicero“-Redaktion in Potsdam an. Ziel war es, Beweismittel sicherzustellen, um den Informanten des Autors zu ermitteln. Interne Untersuchungen im BKA hatten ergeben, dass etwa 200 Mitarbeiter des Amtes Zugang zu dem vertraulichen Bericht hatten.

Begründet wurde der Beschluss vor allem damit, das insbesondere in den 392 Fußnoten auch Informationen ausländischer Nachrichtendienste in Sachen Terrorismus enthalten seien. Durch die Veröffentlichung von „Cicero“ sei deshalb mit einem Vertrauensverlust des BKA bei den Partnerdiensten zu rechnen, was die zukünftige Zusammenarbeit erschweren werde. Autor und Chefredakteur hätten sich damit gleichermaßen strafbar gemacht.

Am 12. September erschienen Polizeibeamte in Schirras Wohnung und in den Räumen der „Cicero“-Redaktion. Da Weimer die betreffenden CD-Roms und E-Mail-Ausdrucke freiwillig herausgab und eine Datenkopie der Festplatte von Schirras Redaktions-Computers gezogen wurde, sahen die Beamten von einer weiteren Durchsuchung der Redaktion ab.

Presse und Politiker kritisierten die Aktion gegen die „Cicero“-Redaktion als Angriff auf die Pressefreiheit, es wurden Parallelen zur „Spiegel“-Affäre von 1962 gezogen. Die Opposition im Bundestag, FDP, Die Grünen und PDS, diskutierten darüber, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, der das Vorgehen der Behörden ausdrücklich unterstützt hatte, musste im Oktober dem Innenausschuss des Bundestags in einer Sondersitzung Rede und Antwort stehen.

Auf dem zur gleichen Zeit in Berlin stattfindenden Kongress der Zeitungsverleger verteidigte sich Minister Schily: „Selbstverständlich geht es nicht darum, die Wächterfunktion der Presse einzuschränken. Aber wenn es darum geht, Ermittlungsunterlagen zu publizieren, bei denen auch Ermittlungen in Gefahr geraten, bei denen diejenigen, die Gegenstand der Ermittlungen sind, Erkenntnisse gewinnen können, dann entsteht ein Schaden, den wir nicht akzeptieren können.“

Die SPD-Abgeordnete Monika Griefahn, Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, rügte dagegen ihren Parteifreund. „Es häufen sich Durchsuchungen von Redaktionen, die ich als Einschüchterungskampagne empfinde. Die letzten Razzien, bei denen vor einigen Wochen Material aus dem privaten Haus des Journalisten Bruno Schirra und den Redaktionsräumen des Cicero beschlagnahmt wurde, waren ein Fehler. Wir müssen die Pressefreiheit und den investigativen Journalismus hochhalten.“

Der „Tagesspiegel“ kritisierte, Behörden aber auch parlamentarische Untersuchungsausschüssen hätten es sich zur Gewohnheit gemacht, alle mögliche Unterlagen „V“ – geheim - zu stempeln. Der Paragraph 353b Strafgesetzbuch „wurde zum Instrument, nicht, um Geheimnisverrat zu verhindern, sondern um Einschüchterung zu betreiben“.

Chefredakteur Weimer legte Mitte Oktober 2005 Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Potsdam ein. Einen Monat später bestätigte das Gericht die Beschlagnahme der Datenkopie. Das Landgericht verwarf eine weitere Beschwerde Weimers. Die Durchsuchung der Redaktionsräume sei rechtmäßig gewesen, da ein Anfangsverdacht der Beihilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses vorgelegen habe. Am Ende des Instanzenweges legte Weimer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Aktenzeichen 1 BvR 538/06.

Das Urteil der höchsten deutschen Richter wurde mit großer Spannung erwartet, denn die „Cicero“-Durchsuchung war nicht die einzige derartige Aktion gegen die Presse, sie war nur die spektakulärste der vergangenen Jahre. Der Deutsche Journalistenverband registrierte seit 1987 insgesamt 187 ähnliche Fälle. Vorwurf der Ermittlungsbehörden war stets „Beihilfe“ oder „Anstiftung“ zum Geheimnisverrat.

Das Bundesverfassungsgericht verkündete am 27. Februar 2007 seine Entscheidung: Die Beschlüsse der Vorinstanzen „verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes ... Die Beschlüsse werden aufgehoben ... Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten“. Der Richterspruch war ein weiterer Meilenstein zur Sicherung der Pressefreiheit in Deutschland.

Aus der Begründung: „Der Eingriff in die Pressefreiheit in Gestalt der Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und der Beschlagnahme der dort gefundenen Beweismittel ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Durch die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und der Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel ist in den Schutzbereich der Pressefreiheit des Beschwerdeführers eingegriffen worden.

Die Pressefreiheit umfasst auch den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten.

Eine Durchsuchung in Presseräumen stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar ... Auch können potentielle Informanten durch die begründete Befürchtung, bei einer Durchsuchung könnte ihre Identität festgestellt werden, davon abgehalten werden, Informationen zu liefern, die sie nur im Vertrauen auf die Wahrung ihrer Anonymität herauszugeben bereit sind. Überdies liegt in der Verschaffung staatlichen Wissens über die im Bereich journalistischer Recherche hergestellten Kontakte ein Eingriff in das Redaktionsgeheimnis, dem neben dem Vertrauensverhältnis der Medien zu ihren Informanten eigenständige Bedeutung zukommt.

Durch die Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit des Zugangs zu redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.

Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. (ms)

 Link zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes